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Wieso wollen wir Angst vermeiden?

Ich vermute, dass das an den Körperempfindungen liegt, die mit der Angst einhergehen. Schweißränder unter den Achseln, Herzklopfen, das bis zum Hals schlägt und in den Ohren dröhnt, Nebelschwaden im Gehirn, Taubheitsgefühle in Händen und Füßen, heiße Stromschläge, die durch den Körper sausen, grummelnder Magen, Übelkeit, Schluckbeschwerden, Kurzatmigkeit, Schwindel, sandiges Gefühl im Mund, Durchfälle…

 

Wenn ich das alles so aufzähle, kann ich es wieder spüren, diese fürchterliche Angst, die einem in jede Körperzelle kriecht. Du auch?

 

Und schon eine dieser Beschwerden kann ausreichen, um uns völlig aus der Fassung zu bringen. Allerdings nur dann, wenn wir diese Beschwerden missdeuten.

 

Viele meiner Klienten haben vor allem deshalb so häufig Panikgefühle, weil sie die Körperempfindungen als Zeichen körperlicher Erkrankungen missdeuten. Ein Druck auf der Brust, Kurzatmigkeit und ein schneller, klopfender Herzschlag? Wer würde da nicht an einen beginnenden Herzinfarkt denken? Oder Schwindel, kribbelnde Hände und Beine, der Eindruck, man stünde neben sich: Wer würde dabei nicht den Gedanken an eine drohende Ohnmacht haben? Ich kann das gut verstehen! Es scheint so naheliegend. Genau aus diesem Grund erleben viele Menschen tatsächlich Todesängste, wenn der Körper beginnt, unter Angst zu reagieren.

 

Und genau deshalb möchte ich dir erklären, was da wirklich in unserem Körper vorgeht. Damit du nächstes Mal einschätzen kannst, wie gefährlich die Situation gerade wirklich ist.

 

Bevor wir überhaupt Angst empfinden, ist in unserem Gehirn schon eine ganze Menge los gewesen. Meist laufen diese Dinge jedoch im Hintergrund, also unbewusst ab.

 

Du siehst, vor allem unsere Gedanken spielen eine große Rolle bei der Entstehung von Angst! Um es noch ein wenig komplexer zu machen: Unsere Gedanken sind meist bereits in einem sogenannten Schema (Muster) abgespeichert. Diese Schemata werden aufgrund unserer Kindheitserfahrungen gebildet, um zukünftige „gefährliche“ Situationen sofort zu erkennen und darauf reagieren zu können. Darin sind nicht nur automatische Gedanken abgespeichert, sondern auch zugehörige Gefühle und Handlungsimpulse. Haben wir also beispielsweise schmerzhafte Ablehnung durch Elternteile oder gleichaltrige Kinder erfahren, haben wir möglicherweise Gedanken wie „ich bin nicht richtig, wie ich bin“, Gefühle von Scham, Ohnmacht und Traurigkeit sowie den Impuls, sich zurückzuziehen und weitere Kontakte dieser Art zu vermeiden, in diesem Schema abgespeichert. Diese Schemata wirken meist unbewusst, also ohne, dass wir uns darüber im Klaren sind. Dazu mehr in einem baldigen weiteren Artikel.

 

Was passiert also als nächstes, nachdem wir diesen ersten negativen Gedanken gedacht haben? Unser Gehirn löst das Gefühl der Angst im limbischen System aus. Dabei wird nicht nur das Gefühl aktiviert, sondern auch eine Reihe von Hormonen in Umlauf gebracht, damit der Körper für alle notwendigen Handlungen ausgestattet ist. Unser Gehirn sorgt also dafür, dass wir genügend Energie in uns abrufbar bereit haben, um zu flüchten, anzugreifen oder uns in einer Art „Totenstarre“ anzuspannen.

Dieses System im Körper ist eines der ältesten Systeme in unserem Gehirn, welches wir auch mit Reptilien gemein haben. Der Sinn: Unser Überleben sichern! Was da in uns passiert, ist also gut gemeint und soll dafür sorgen, dass wir einer Gefahr ausweichen oder begegnen können. Deinem Gehirn ist dabei erst einmal völlig egal, ob dein Leben gerade wirklich bedroht bist oder ob lediglich ein Gedanke diese Kaskade ausgelöst hat. Du kannst also auch vor einer Prüfungssituation in Panik geraten, obwohl es dir dabei gar nicht an den Kragen geht, zumindest lebenszeitbezogen.

 

Die Hormone sorgen dafür, dass unser Körper Energie freisetzt. Wohooo und das funktioniert so richtig Bombe! Stell dir einmal bildlich vor, wie die Hormone in deinen Blutbahnen zu den entsprechenden Organen eilen, um dort ihre Information zu übermitteln: „Arbeite auf Hochtouren und zwar Zack, Zack!“ Ein geniales System, welches zuverlässig funktioniert.

 

Die Organe, die diese Information nun erhalten, sind: Herz, Lunge, Blutgefäße, Verdauungsorgane und die große Muskelgruppen. Du erinnerst dich, das Ziel dieser Aktion: sofort Energie freisetzen!

Deshalb beginnt das Herz schneller und stärker zu schlagen, denn es soll das Blut möglichst schnell in die großen Muskelgruppen (falls wir flüchten oder kämpfen müssen) und weitere Organe befördern, die jetzt Energie benötigen.

Die Verdauungsorgane dagegen werden in ihrer Arbeit gehemmt, denn das wäre nun unnötige Verschwendung von Energie. Aus diesem Grund wird erst noch einmal Ballast abgeworfen, was wir in Form von Durchfällen, Übelkeit und Erbrechen sowie dem sogenannten „Angstpipi“ kennen. Danach wird die Arbeit dort erst einmal eingestellt. Wir haben weder Hunger noch Durst und auch die Speichelproduktion wird eingestellt (trockener Mund lässt grüßen).

Der vermehrte Blutfluss zu den Muskeln und die Vergrößerung der großen Blutgefäße werden teilweise als Kribbeln, Hitzewallungen und anderen Missempfindungen wahrgenommen. Die kleinen Blutgefäße, die in Hände und Füße führen, werden hingegen verengt, denn diese Gliedmaßen sind im Notfall weniger wichtig als lebensnotwendige Organe und Funktionen (z.B. Beinmuskulatur). Deshalb empfinden wir bei Angst auch häufig kalte Hände und Füße oder gar Taubheitsgefühle in diesen Bereichen.

Die zirkulierenden Hormone verändern auch unsere Atmung. Wir neigen nun zu einer eher oberflächlichen und schnelleren Atmung, die dazu führt, dass unsere Skelettmuskulatur um den Brustkorb herum stark beansprucht wird. Die Muskeln arbeiten auf Hochtouren und können leicht verkrampfen. Dies können wir in Form von einschießenden, scharfen Schmerzen im Brustbereich oder mit einem Druckgefühl im Brustkorb wahrnehmen. Auch das Verhältnis von Sauerstoff und Kohlstoffdioxid im Blut verändert sich durch Hyperventilation. Durch die vermehrte und teilweise auch vertiefte Einatmung wird mehr Sauerstoff im Körper aufgenommen und Co2 ausgestoßen. Dadurch können Muskelkrämpfe, Kribbeln, Taubheit und ein Brennen in der Brust verstärkt werden. Auch können Schwindel, Konzentrationsstörungen und Bewusstseinseintrübungen entstehen.

All diese körperlichen Vorgänge und die Empfindungen, die sie in unserem Körper auslösen, sind ungefährlich. Unser Körper ist so gebaut, dass er diese Spitzen an Aktivität durchaus gut verkraftet. Denk zum Beispiel einmal daran, was dein Körper bei sportlichen Höchstleistungen vollbringt. Dort wirken ähnliche Kräfte auf unsere Organe und Muskeln und auch die Körperempfindungen sind teilweise ähnlich. Wir nehmen sie nur deshalb weit seltener als „gefährlich“ war, weil wir wissen, dass sich unser Körper bei sportlicher Betätigung anstrengt. Die körperlichen Vorgänge bei Angst entsprechen ebenfalls lediglich einer „Anstrengung“, die wir gut verkraften können. Natürlich vorausgesetzt, dass wir körperlich gesund sind.

 

Diesen Kreislauf zu erkennen, zu verstehen und anzunehmen, ist der erste Schritt, um aus dem Teufelskreis der Angst auszusteigen. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir die Empfindungen, die Angst in uns auslöst angenehm finden müssen. Aber es bedeutet, dass wir sie als Reaktion unseres Körpers auf Angst anerkennen. Unser Körper versucht lediglich, uns auf eine Gefahr vorzubereiten.

 

Wenn du also das nächste Mal Angstreaktionen in deinem Körper wahrnimmst, kannst du dir bewusst machen, wie absolut wunderbar dein Körper seine Aufgabe ernst nimmt, dich mit schneller Energie zu versorgen.