So besänftigst du deinen inneren Kritiker
“Sonja, das war Mist! Du gibst dir viel zu wenig Mühe und machst alles nur halbherzig. So wird das nix!”
Autsch!
Kennst du solche oder ähnliche Schimpftiraden?
Voilà, da hast du gerade meine innere Kritikerin gehört, die sich darüber aufgeregt hat, dass ich in einer Email aus Versehen eine falsche Anrede verwendet hatte.
Ehrlich gesagt, hatte ich eine Email verfasst, die ich an zwei unterschiedliche Adressen und Menschen versendet habe und dabei vergessen hatte, den Namen in der Anrede auszutauschen. Upsi!
Shame on me! Das ist es jedenfalls, was meine Kritikerin in solchen Momenten in mir auslösen möchte. Dass ich mich schäme und zwar so richtig.
Wieso?
Fragen wir doch mal nach.
Der innere Kritiker in Aktion
Meine innere Kritikerin heißt übrigens “Güntraud” (falls du wissen willst, wie es zu dieser verrückten Namensgebung kam, frag gerne nach), nur damit du den folgenden Dialog auch nachvollziehen kannst….
Ich: “Sag mal, wieso sagst du mir jetzt, dass ich mir zu wenig Mühe geben würde? Wozu ist das gut?”
Güntraud: “Das dürfte doch wohl klar sein! (Augenverdreh) Du kannst nicht immer alles im Schnelldurchlauf machen. Da passieren dir immer viel zu viele Fehler! Das ist doch peinlich. Du wirkst dann total unprofessionell!”
Ich: “Das heißt, du möchtest, dass ich auf andere professionell wirke?”
Güntraud: “Ja klar! Du etwa nicht?”
Ich: “Okay, ich höre, wie wichtig dir dieses Ziel ist. Lass mich verstehen, wieso es dir so wichtig ist. Du möchtest also, dass ich professionell wirke, weil…?”
Güntraud: “Weil du sonst nicht ernst genommen wirst. Ist doch wohl klar! Wenn du willst, dass die Menschen dir zuhören, darfst du eben keine Fehler machen!”
Ich: “Aha. Güntraud, vielen Dank für diese Erklärung. Ich denke, ich kann jetzt verstehen, wieso du so streng mit mir bist. Du möchtest mich vor diesen schmerzhaften Gefühlen schützen, die ich als Kind öfters empfunden habe, wenn ich etwas wichtiges zu sagen hatte und keiner mir zuhören wollte. Stimmts?”
Güntraud: “Das soll nie wieder passieren! Halte dich an mich. Ich werde das zu verhindern wissen!”
Du siehst, meine innere Kritikerin hat eine Mission. Sie möchte, dass ich möglichst keine schmerzhaften Erfahrungen mehr mache. Sie weiß nämlich noch genau, wie sich Ablehnung und Zurückweisung anfühlt und wie weh es tun kann, wenn man sich beschämt fühlt. Deshalb ist sie jetzt mega streng mit mir. Sie möchte, dass ich in Zukunft keine Fehler mache, die genau in diesen Schmerz münden könnten.
Verständlich oder? Sogar irgendwie liebevoll, oder?
Allerdings hat Güntraud noch nicht gecheckt, dass ich mich schon dann beschämt fühle, wenn sie so fiese Kommentare in meine Richtung brüllt. Das macht nämlich manchmal ziemlich Aua!
Deshalb braucht sie jetzt eine kleine liebevolle Rückmeldung von meiner Erwachsenen.
Ich: “Hey, ich finde das super, dass du so darauf aufpasst, dass ich mich wertgeschätzt, ernst genommen und gehört fühle. Das ist wirklich etwas, was ich früher manchmal nicht hatte und mir so sehr gewünscht hätte. Kann ich total gut verstehen. Das finde ich sogar richtig lieb von dir!”
Güntraud (rote Bäckchen): “Freut mich, dass du mein Engagement wertschätzt.”
Ich: “Meine Liebe, es ist allerdings so: Meine Kleine fühlt sich ziemlich verunsichert und beschämt, wenn du so streng bist. Dann möchte sie sich am liebsten verstecken und ich habe ziemliche Schwierigkeiten, sie davon abzuhalten. Ist es denn das, was du erreichen möchtest? Dass ich mich dann verstecke?”
Güntraud: “Hm. Eigentlich möchte ich ja das Gegenteil bewirken. Dass du dich zeigst, dich aber eben mehr anstrengst, damit du keine Fehler machst.”
Ich: “Verstehe. Lust auf einen Deal? Wie wäre es, wenn du mich darauf hinweisen darfst, wenn du denkst, dass ich gerade eine möglichen Fehler gemacht habe und wir dann gemeinsam prüfen, wie schwerwiegend dieser Fehler sein könnte, welche Folgen er haben könnte und wie wir ihn wieder gutmachen können? Dann bräuchtest du nicht fies zu werden, weil ich dir zuhöre und wir gemeinsam eine Lösung suchen.”
Güntraud: “Solange ich mich melden darf und du mir zuhörst, kann ich mir vorstellen, meine Wortwahl ein wenig umzugestalten. Klingt gut.”
Die Ziele des inneren Kritikers
Die innere Kritikerin hat viel gelernt in deinem bisherigen Leben. Vor allem darüber, was in deinem Umfeld nicht gerne gesehen wurde und wird. Ihr Bedürfnis ist es, dass du dich wertvoll fühlen, dich zugehörig fühlen kannst, dich sicher und gemocht fühlst und deine Ziele verwirklichen kannst. Alles vollkommen in Ordnung.
Dein Kritiker möchte
dass du dich wertvoll, gemocht und zugehörig fühlst.
Allerdings bezieht sie sich sehr auf vergangene Learnings, vor allem aus deiner Kindheit. Bedeutet: Sie bezieht sich vorwiegend auf die Werte deiner Eltern und anderen Bezugspersonen, auch aus deiner damaligen Peer-Group.
Möglicherweise hast du heute allerdings ganz andere Werte. Zumindest könntest du dich das fragen: Welche Werte möchte ich denn heute verfolgen?
Die Kritikerin darf also noch dazulernen. Deine Erwachsene darf ihr liebevoll beibringen, was dir heute wichtig ist und worauf du achten möchtest. Daran darf sie dich gerne erinnern. Und sie darf lernen, dir Rückmeldung so zu geben, dass deine Kleine sich dabei nicht abgewertet fühlt, sondern ernst genommen und sicher.
Was braucht deine Kritikerin, damit sie sich verändern kann?
Die Unterstützung deiner Erwachsenen! Sie muss wissen, dass du es überleben kannst, wenn du Fehler machst. Dann muss sie nämlich nicht so vehement werden. Sie muss wissen, dass du ihr zuhörst und auf sie eingehst. Auch sie will sich gehört und ernst genommen fühlen!
Sprich mit ihr.
Finde heraus, welches Bedürfnis sie gerade hat und wie ihr dieses Bedürfnis gemeinsam auf konstruktive Weise stillen könnt.
Falls du mehr darüber wissen willst, wie du deine innere Kritikerin in eine unterstützende Mitbewohnerin deiner inneren WG verwandeln kannst, empfehle ich dir gerne mein Buch. Dort beschreibe ich ausführlich, welche Strategien es gibt, um deine Erwachsene zu stärken und deine innere WG in ein mitfühlendes und sich gegenseitig unterstützendes Team verwandeln kannst.
Herzliche Grüße,
Deine Sonja